Vergessene Romane (1)

… Er kam mit dem Zug gegen Mitternacht an. Die Uhr schlug sich die Seele aus dem Leib. Er fror und zupfte sich mit der rechten Hand den Kragen vor das Kinn. Die Stadt lag in völliger Ruhe da. Ein erstarrter Ort ohne Leben, den er nun mit festen Schritten durcheilte, in der Hoffnung noch Platz in einer Pension zu finden. Leider kannte er sich nicht aus und so irrte er die halbe Nacht umher …

Jemand kommt an. Er durcheilt die Stadt nach einer Pension. Es ist kalt. Er wird eine Pension finden. Er wird sie aber nie wieder verlassen. Die Wirtin der Pension Else bindet ihn allmählich in ein System aus Niedertracht, Lügen und Intrigen, aus dem sich der Held des Romans nicht befreien kann. Am Ende lässt er alle Hoffnung fahren, wird gar zum willfährigen Haushund, der sein Essen aus einem Napf unter dem Tisch zu sich nimmt, während Else ihm hin und wieder den Rücken tätschelt.

… Er kroch unter den Tisch, schnupperte und fand schließlich einen Metallnapf, der bis zum Rand mit einer stinkenden Brühe gefüllt war. Er schnupperte mit angewidertem Gesicht daran und zog sich dann zurück.
Else gab ihm einen Tritt und schrie: „Friss!“
Er jaulte auf und für einen kleinen Augenblick hielt er sich wirklich für einen Hund.
Dann schob er sich wieder unter den Tisch und schlabberte den Napf leer.
„Guter Hund“, murmelte Else …

Die nicht enden wollende „Sommernacht bei Else“ ist ein Roman über die Strategien des Faschismus. Ein bizarr-faszinierendes Spiel über die Mechanismen von Unterdrückung und Ausbeutung.

Franz Kickenberg

Franz Kickenberg (1902 – 1996) schrieb den Roman 1936 im amerikanischen Exil innerhalb von nur einer Woche. In seinem Tagebuch notiert er eine Woche vor Beginn: „Gehe mit einem Projekt schwanger, von dem ich mir viel verspreche. Es soll ein dunkles und tieftrauriges Stück werden. Ein Stück über Deutschland.“
Der Roman erschien zunächst in einem kleinen kalifornischen Verlag. Kickenberg hatte ihn selbst übersetzt. Der Roman blieb unbeachtet. Es gab keinerlei Reaktionen oder Besprechungen.
„Sommernacht bei Else“ kam dann noch einmal 1976 in Berlin auf den Markt. Wieder war es ein kleiner Verlag, der das Risiko einer Veröffentlichung auf sich nahm. Und wieder ging dieses große literarische Werk kläglich unter.
Das war es. Weitere Veröffentlichungen gab es nicht.
Auch über Kickenberg selbst wissen wir wenig. Er kehrte nie aus Kalifornien zurück. Er hat sich zeitweise als Drehbuchautor verdingt, heiratete nie und starb 1996 an einem Herzinfarkt.

… Else kramte ihre Hand aus dem Teig und sah ihn verwundert an.
„Sie suchen eine Unterkunft?“
„Ja“, sagte er. „Sie haben hier doch eine Pension?“
„Schon“, antwortete sie. „Aber die ist nicht für jeden. Ich such mir meine Gäste aus. Sehr genau. Ich erwähle sie sozusagen.“ Und dann lachte sie hell und schrill auf. Er hörte es noch lange in seinem Kopf schallen …

Romane von Franz Kickenberg:

Unglück (vergriffen)
Das seltsame Streben nach Glück (vergriffen)
Sommernacht bei Else (vergriffen)

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6 Antworten zu Vergessene Romane (1)

  1. The Pose schreibt:

    Also mein Speichelfluss ist unvermittelt merklich besorgniserregend, ich wuerde ausrufen: Will haben !!! Wenn ich nicht in mir ertraenke, aber genug davon. Wie kommt man zu „Sommernacht“ ?

  2. guidorohm schreibt:

    Sie werden suchen müssen, stöbern; Sie werden ganze Buchandlungen auf den Kopf stellen müssen und tüchtig schütteln, denn vielleicht fällt die „Sommernacht“ irgendwann einer Buchhandlung oder einem Antiqurariat aus der Hosentasche. Dann, ja, dann werden Sie einer der wenigen Glüchlichen sein, die die „Sommernacht“ in Händen halten dürfen. Mein Exemplar bleibt hier. Ich drücke es an mich, lese darin und bin glücklich.

  3. The Pose schreibt:

    ich goenne es Ihnen, auch wenn ich Sie ansehe wie einen Sextouristen, der eine Thailaenderin befummelt, aber ganz so ist es wohl nicht, da fummelt schon der richtige. Wie dick ist es denn ? Und ist der weisse Streifen auch am Buchruecken sichtbar ? Die Chancen sind aber, ich weiss es, Sie wissen es, gleich Null — wieso verlegen Sie es eigentlich nicht ?

  4. guidorohm schreibt:

    Ach, nein, nein, ich bin kein Verleger, werde auch nie einer werden, denn am Ende hat man es mit solch nervigen Autoren wie mir zu tun. Gott behüte mich davor. Gut, man könnte dies eine Buch auf den Markt werfen, allein es fehlt mir an Geld und Zeit. Und warum sollte ich es auch tun? In meinem Besitz befindet es sich ja!

  5. The Pose schreibt:

    Ich wusste es, Sie sind doch ein Sextourist 😛

  6. The Pose schreibt:

    Ausserdem versteh ich das Argument nicht ganz ? Buecher werden nicht verlegt, weil sie sich in irgendjemandes Besitz befinden oder nicht befinden.
    Jedenfalls danke, das Sie das Vorteil Schriftsteller seinen Idealisten wiederlegt haben. Und wieso noch, hm.
    Weil wir das Internet haben und man die Chance hat, fuer Dinge von Belang Gehoer zu finden, und weil wir 2011 haben und die heutige Zeit der von 193x mehr gleicht als scheiss 1976 wo alle auf Demos sind, um ein parr Fotzen aufzureissen und Grass aufzutreiben, und auch sonst verfickt gute Laune hatten; da liesst es sich nicht so schoen ueber n Typen der bei ner Dicken unterm Tisch seine Bruehe schluerft.

    Ps: Plz excuse my german

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