Weil mit Musik alles leichter von der Hand geht, stellten sie einen Kassettenrecorder auf, sie hatten sogar an eine Verlängerungsschnur gedacht, ein Kassenrecorder, fragte ich Hagenmeier, ich mag Musik bei der Arbeit, ich bin ein Anhänger der klassischen Musik, hm, Beethoven, er schnalzte mit der Zunge, der hat es mir besonders angetan, und dann noch Bärenbergtal, kennen Sie die Musik von Bärenbergtal, ich verneinte, ein hervorragender Komponist, der jahrelang vom Verband der Metzgermeister gefördert wurde, er hat das Geschrei der sterbenden Tiere in seine Musik eingebaut, ach, Sie müssen noch viel lernen, scheint mir auch so, sagte ich, und wo wollen Sie operieren, schob ich nach, Sie meinen weil hier keine Tische mehr sind, keine Angst, Hagenmeier gab einem seiner Männer ein Zeichen, der ging kurz vor die Tür und tauchte mit einem Tapeziertisch auf, wir werden ihn darauf operieren, darauf, ich war natürlich erstaunt, ja, ja, lassen Sie das nur unsere Sorge sein, er ließ mich stehen, und nur einen Augenblick später stand Frau Hagenmeier bereits neben mir, sie lächelte mich verschämt an, sagte, hab den Jungen raus geschickt, das ist einfach nichts für Kinder, sie blickte zu Boden, dann wieder zu mir, könnten Sie sich vorstellen, ein paar Runden mit mir zu drehen, ein paar Runden, ich verstand nicht, sie zeigte auf den Kassettenrecorder, ich habe um einen Walzer zum Einstieg gebeten, den würde ich gerne mit Ihnen tanzen, Hagenmeier und seine Männer hatten derweil den Tisch aufgebaut, sie öffneten den Sack und zerrten den verdutzten Bert raus, der sah sich erschrocken um, dann schrie er, also ließ Hagenmeier ihn mit Fußtritten beruhigen, Hagenmeier schob seine Hand durch die Luft, ich sollte wohl rüber zu ihm, entschuldigen Sie mich, bitte, ich ging zu ihm hin, Bert wurde noch immer mit Tritten bedacht, Hagenmeier beugte sich zu meinem Ohr, sagte, Sie sollten vielleicht ein paar Worte sagen, damit der Patient weiß, warum er operiert wird, Hagenmeiers Männer hielten Bert fest, ich drehte mich zu ihm, sagte, du weißt schon, nein, schrie Bert, dann frag Marie, du Schweinehund, ich blickte wieder Hagenmeier an, reicht das, das reicht, und nun tanzen Sie doch bitte mit meiner Frau, ich schlurfte also wieder rüber zu Frau Hagenmeier, während sie Bert in meinem Rücken auf den Tisch knallten, ich sah nicht mehr hin, ich wollte es nicht sehen, ich operiere nicht, warum sollte ich mir das also antun, ich kann nicht tanzen, sagte ich zu Frau Hagenmeier, nicht weiter schlimm, antwortete sie, ich führe sie, dann hielt sie mir ihre linke Hand hin, ich nahm die Hand, die Musik lief an, ein seltsamer Walzer, der von den jämmerlichen Schreien Berts unterbrochen wurde, wir drehten ein paar Runden, dann sagte sie, zugegeben, sie sind wirklich kein guter Tänzer, ich sagte es Ihnen doch, da waren wieder die Schreie Berts, immer dieses ungehobelte Benehmen der Patienten, sagte Frau Hagenmeier, sie ließ mich stehen, gingt rüber zum Tisch, ich sah immer noch nicht hin, das Schreien wurde lauter, lauter, es wurde unerträglich, dann endete plötzlich die Musik, was ist denn jetzt, dachte ich, denn das Schreien war noch zu vernehmen, wir nehmen jetzt seine Todesschreie mit dem Kassettenrecorder auf, rief Hagenmeier zu mir rüber, seine Todesschreie, ich fragte es nicht, dachte es aber, trotzdem antwortete Hagenmeier, als könnte er meine Gedanken lesen, ja, seine Todesschreie, ich habe zu Hause schon eine ganze Sammlung davon, ich sammle Todesschreie, sie sind die Musik des Universum, die reinsten Klänge, die man dem Instrument des menschlichen Körpers entlocken kann, es gibt Kollegen, die sie ebenfalls sammeln, manchmal tauschen wir unsere Bänder, ach, ich sagte doch, Sie müssen noch viel lernen, sprach es und machte mit seinen Kollegen weiter, ich sah nicht hin, würde nicht hin blicken, ich hatte nichts damit zu tun, ich wollte das nicht einmal, hatte ich mich doch längst beruhigt, machen Sie nur in aller Ruhe weiter, ich geh mal vor die Tür, mir die Beine vertreten, sagte ich, drauf Hagenmeier, Mensch, Sie verpassen ja das Beste, wir nehmen uns jetzt seine Fingernägel, dann die Zähne vor, außerdem verpassen Sie die Hoden, die Hoden will doch nun wirklich niemand verpassen, ja, das stimmt schon, sprach ich in seine Richtung, einzig, ich kann keine Tapeziertische sehen, von denen wird mir immer schlecht, wir könnten ihn auch am Boden operieren, rief Hagenmeier, keine Umstände, nur raus hier, dachte ich, ging los, rief noch einmal, nur keine Umstände, und schon war ich draußen, frische Luft, zumindest nahezu frische Luft, denn der Geruch des Blutes lag beständig in der Luft, man wurde ihn gar nicht mehr los, ich stand da, atmete ein und aus, ein und aus, da sah ich den Jungen, der etwa zwanzig Meter entfernt auf einem Baum hockte.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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